Von der Idee zur Realität zur etablierten Biologischen Station – unser Verein hat sich über den Verlauf von mehr als drei Jahrzehnten deutlich entwickelt. Volkhard Wille war von Anfang an dabei und bis 2021 Vorsitzender bevor er seine Ämter niederlegte, um im Mai 2022 für den Landtag zu kandidieren. Dietrich Cerff ist seit rund zwei Jahrzehnten in verschiedenen Positionen in der Station tätig. Seit 2020 ist er Vorsitzender des Vereins. Hier berichten sie über einige Höhe- und Tiefpunkte in der Stationsgeschichte.
Alles muss klein beginnen. Wie wurde der Samen für das, was heute die NABU-Naturschutzstation Niederrhein ist, gelegt?
Dr. Volkhard Wille: Alles startete ab dem Jahr 1979. Da bildete sich eine NABU-Ortsgruppe in Kranenburg, die Naturschutz für die Düffel aufbaute. Die Aktiven pflegten Kopfweiden und legten Kleingewässer an. Auch die Orchideenwiesen im Kranenburger Bruch, südlich der Düffel, wurden schon per Hand gemäht.
Außerdem begannen sie die Vogelwelt des Niederrheins zu erforschen und zu erfassen – mein Vater Ulrich hatte hier schon in den vorangegangenen Jahrzehnten Pionierarbeit geleistet. Hierzu gehörten zum einen die ersten Zählungen der arktischen Wildgänse, die zum Überwintern hierher kommen. Zum anderen wurden Bestände von Steinkäuzen, Rebhühnern und natürlich auch der Wiesenvögel erfasst.
Damals wurde übrigens auch schon Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gemacht, so wurde etwa über die vorgenommenen Arbeiten berichtet oder Ausstellungen umgesetzt.
Wie kam die Idee auf, die ehrenamtliche Arbeit der Ortsgruppe mit einer Biostation zu ergänzen und zu unterstützen?
VW: Es war schnell klar: Die umfangreichen Arbeiten, die durch die Ausweisung großer Naturschutzgebiete wie der Düffel notwendig waren, wären ohne hauptamtliche Unterstützung nicht durchführbar gewesen. Vor der Gründung wurden dann verschiedene bestehende Biostationen besucht, um deren Erfahrungen einzubeziehen, zum Beispiel die Rieselfelder Münster.
Was waren damals wichtige Entwicklungen, mit denen es voran ging?
VW: Sehr, sehr wichtig war es, dass die Düffel und das Kranenburger Bruch 1987 als Naturschutzgebiete ausgewiesen wurden. Die Diskussion begann übrigens schon 1979.
Die ersten Zivildienstleistenden nahmen 1989 ihre Arbeit auf. Und 1992 wurden als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, das gab es damals noch als Arbeitsmarktinstrument, vier Biolog*innen und eine Schreibkraft genehmigt. Dann ging es richtig rund: Ab 1994 erhielten wir einen Betreuungsvertrag für die Hetter und weitere Naturschutzgebiete rund um Kleve wurden ausgewiesen.
Von den fünf ersten Hauptamtlichen sind heute übrigens vier weiter in der Biologie bzw. als Tierfilmer tätig, einer macht heute EDV.
Wie wuchs dann die Station weiter?
VW: Ab 1996 erhielten wir Betreuungsverträge für weitere Gebiete: das Kranenburger Bruch, die Emmericher Ward, landeseigene Flächen in der Düffel und die Rindernsche Kolke. Ab 1999 betreuten wir für acht Jahre auch das Naturschutzgebiet Geldenberg im Reichswald, was dann leider von der Landesregierung nicht verlängert wurde. Trotzdem: Mit so viel Arbeit wuchs die Station auch entsprechend schnell – um Hauptamtliche, aber auch um Freiwillige. Derzeit, im April 2022, sind wir 18 Hauptamtliche inkl. der zwei Putzhilfen und vier Freiwillige.
Was war schwierig?
VW: Unser Verhältnis zu Teilen der Landwirtschaft, vor allem zu Vertretern der Kreisbauernschaft Kleve, war jahrzehntelang sehr schwierig. Naturschutz und Landwirtschaft konkurrieren hier um das gleiche, sehr wertvolle Land.
Dietrich Cerff: Es gibt nun aber seit einiger Zeit kleine Schritte der Entspannung. Wir hoffen, diesen Weg weiter verfolgen zu können. Auch die gewählten politischen Vertreter im Kreis Kleve standen dem Naturschutz lange ablehnend gegenüber. Auch hier sehen wir einen Generationswechsel und wollen noch besser vermitteln, wie unbezahlbar intakte Ökosysteme für uns Menschen sind.
Heute sind wir eine etablierte Biostation, die durch das Ehrenamt gut in die Region eingebunden ist. Was sind aktuelle Herausforderungen und Chancen?
DC: Im Naturschutz gibt es immer eine Menge zu tun, aber derzeit türmen sich die Probleme: Wir haben eine Artenkrise. Denn aus verschiedenen Gründen nimmt die Artenvielfalt in allen Lebensräumen mit rasendem Tempo ab. Die Landschaft trocknet aus und die Klimakrise macht uns außer der Trockenheit auch mit Extremereignissen zu schaffen. Außerdem gelangen etwa durch Düngung, aber auch durch Verkehr viel zu viele Nähr- und Schadstoffe in die Landschaft. Das ist eines der gravierendsten Umweltprobleme, das tief in sämtliche Ökosysteme eingreift. Da dies schleichend erfolgt, ist dies viel zu wenig bekannt.
Dazu kommt ein aus unserer Sicht immer spezialisierte und intensivierte Landwirtschaft durch den Druck des Weltmarkts. Der Abstand der meisten Landwirte zu naturverträglicher Landwirtschaft wächst und ist immer schwerer zu überwinden. Viele können mit extensivem Grünland wenig anfangen. Auf der anderen Seite sehen wir, dass es Bestrebungen gibt – gerade auch aus der Landwirtschaft heraus –, einen eigenen Beitrag zum Naturschutz leisten zu wollen.
Gesamtgesellschaftlich gibt es einen großen Wunsch nach naturverträglicher Landwirtschaft und nach einem Ende des Raubbaus an der Natur allgemein. Diese Anliegen mit starken Argumenten, Hintergrundwissen, Modellprojekten und guter Praxis zu unterstützen, wird weiterhin unser Vorgehen sein.
Welche wichtigen Erfolge konnten wir erzielen?
VW: Das ist ganz klar die Ausweisung der Düffel und des Kranenburger Bruchs als Naturschutzgebiete. Für mich persönlich ist aber auch sehr wichtig, dass wir einen naturverträglichen Tourismus zu den arktischen Wildgänsen hier etablieren konnten und bis 2011 acht Jahre ein Informations- und Besuchszentrum im Kranenburger Bahnhof betrieben haben.
Nicht zuletzt möchte ich hier die großen Fortschritte bei unseren wichtigsten Themen Fluss und Aue, Wiesenvögel und Wald nennen, die durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt, die Europäische Union mit ihrem LIFE- und ihrem Interreg-Programm und das Land NRW finanziert wurden.
DC: Hier wurde etwa modellhaft erarbeitet, wie an der meistbefahrenen Binnenwasserstraße Europas der Natur wieder mehr Raum gegeben werden kann. Ganz konkret wurden dann eine Nebenrinne und ein Seitenarm angelegt, die Lebensräume im und am Fluss schaffen. In der Hetter und der Düffel konnten Maßnahmen entwickelt und umgesetzt werden, die in Hotspots die Feuchtigkeit wieder herstellen, die die Wiesenvögel benötigen. Im Rahmen des Ketelwald-Projektes konnten wir den Waldverbund zu den Niederlanden deutlich verbessern und Heidebiotope am Südrand des Reichswaldes anlegen.
Spannend ist die Nähe zu den Niederlanden, bei denen Naturschutzforschung und Naturschutz einen viel höheren Stellenwert hat als in Deutschland. Da gibt es viel zu lernen.
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